Berichterstattung zum Smarthome-Standard Matter eilt nicht selten der Realität voraus. In den Medien geht es um Produktankündigungen und neue Gerätekategorien, um das nächste Software-Update oder um kommende Funktionen. Unglücklicherweise entsteht dabei der Eindruck, die Umsetzung schreite im selben Tempo voran. Doch während die Zahl der Produkte kontinuierlich steigt, gibt es noch Probleme und offene Baustellen, die auf Fertigstellung warten. Erst wenn sie geschlossen sind – oder es effektive Umleitungen dafür gibt – kann Matter sein Ziel erreichen: die Smarthome-Installation wirklich einfach und populär zu machen.
1. Funktionsunterschiede
Im praktischen Einsatz zeigt sich: Matter ist zwar ein mächtiger Smarthome-Standard, aber er sorgt nicht für gleiche Standards in allen Smarthome-Systemen. Das schwarz-weiße Logo steht für die prinzipielle Einsatzfähigkeit von Geräten, dass sie konform zu den Matter-Spezifikationen sind. Ob die Steuerung der Wahl mit ihnen etwas anfangen kann – und in welchem Umfang sie das tut – hängt ganz vom System ab.
Ein Beispiel: Das Nuki Smart Lock ist mit Matter-Controllern von Amazon aktuell nicht verwendbar, weil die Software dieser Steuerzentralen noch keine Türschlösser unterstützt. Alexa und Google Home können mit Matter-Tastern oder -Lichtschaltern wenig anfangen, was Produkte wie den Arre Smart Button (früher Tuo) oder den Taster-Koppler von Innovation matters aus beiden Systemen ausschließt. Ähnliches gilt für bestimmte Gerätetypen an einer Matter-Bridge. So stehen etwa Fernbedienungen des Philips-Hue-Systems in Apple Home und SmartThings als Auslöser zur Verfügung, bei Amazon und Google dagegen nicht.
Hersteller wie Siegenia (link) oder Tuo (link) versuchen das Problem zu lösen, indem sie Hinweise veröffentlichen, an welchen Matter-Controllern ihre Geräte funktionieren. Solche Kompatibilitätslisten gab es früher schon und viele Early Adopter hatten gehofft, dass Matter dieser Praxis ein Ende bereiten würde. Aktuell sieht es aber nicht danach aus. Auch die eigenen Zertifizierungsprogramme der Plattformen behalten ihre Bedeutung: Ein „Works with … Alexa … Apple … Google … SmartThings“ auf dem Gerätekarton garantiert schließlich 100-prozentige Kompatibilität. Der Matter-Schriftzug kann dies aktuell noch nicht.
Wann er dazu in der Lage ist – und ob es überhaupt so weit kommt – lässt sich schwer sagen. Die großen Plattformen von Amazon bis SmartThings müssten dazu freiwillig ihr Vorgehen abstimmen. Oder von dritter Seite verpflichtet werden: Anbieter wie Ubisys wünschen sich schon länger, dass Controller bei der Zertifizierung stärker unter die Lupe genommen werden. „Sie sollten zumindest grundlegende Funktionen für alle von Matter offiziell unterstützten Geräte vorweisen“, so Ubisys-Geschäftsführer Dr. Arasch Honarbacht.
In der Zwischenzeit bietet sich Drittanbietern eine Gelegenheit, den Standard möglichst umfassend abzubilden und alle Matter-Funktionen zeitnah zu unterstützen. Ein System wie Home Assistant (link) wäre prädestiniert dafür. Als Open-Source-Projekt mit unabhängigen Entwicklern kann es schneller und flexibler reagieren als ein großer Konzern. War Apple bislang führend in der Umsetzung des Standards, holt Home Assistant gerade mächtig auf. Allerdings spricht die Do-it-Yourself-Lösung insbesondere Bastler und Early Adopter an. Und aus dieser Ecke wollte die Branche mit Matter ja eigentlich heraus.
2. Thread-Netzwerk
Das Funkprotokoll Thread gilt als eine der tragenden Säulen im Matter-Standard. Es erlaubt große, sich selbst organisierende und heilende Netzwerke. Endgeräte und sogenannte Border-Router, die eine Verbindung Rest des Gebäudes herstellen, sollen darin reibungslos zusammenarbeiten – egal von welchem Anbieter sie stammen. Soweit die Theorie.
In der Praxis sieht es derzeit noch anders aus, weil vor allem der herstellerübergreifende Mix von Border Routern nicht zuverlässig funktioniert. Statt Endgeräte in ein gemeinsames Funknetz zu verfrachten, spannen manche Matter-Controller eigene Thread-Netzwerke auf. Produkte verteilen sich so über mehrere Instanzen im Haus und tragen nicht zur Verstärkung eines zentralen, vermaschten (Mesh-)Netzes bei. Wird der räumliche Abstand zwischen einzelnen Komponenten zu groß, drohen gar Verbindungsprobleme.
Und selbst wenn es gelingt, auf Umwegen ein herstellerübergreifendes Mesh zu installieren (link), kann dieses Netzwerk instabil bleiben. Mehrmonatige Versuche in Testräumen des Smarthome-Blogs digitalzimmer.de (link) haben gezeigt, dass Matter over Thread bislang am besten funktioniert, wenn alle Border Router vom selben Anbieter stammen. Soll heißen: Apples Home-Plattform nur HomePods und Apple-TVs als Border Router nutzt, ein Google-Home ausschließlich Nest-Produkte und so weiter.
Über Lösungen wie den digitalen Schlüsselbund im Betriebssystem iOS können Matter-Plattformen zwar untereinander die Zugangsdaten („Credendials“) ihrer Thread-Netzwerke austauschen, um ein gemeinsames Mesh zu formen. Doch dieser Weg ist in Matter nicht standardisiert. Apple, Google, SmartThings & Co. müssen ihn individuell aushandeln. Nach Erfahrungen vieler Anwender und Hersteller kein optimaler Zustand.
Deshalb geht die für Thread zuständige Organisation das Thema jetzt grundlegend auf Netzwerkebene an. In einem Blog-Beitrag der Thread Group schreibt die Herstellerallianz, dass „Credential Sharing“ über Systemgrenzen hinweg optimiert werden soll (link). Außerdem steht Netzwerk-Diagnostik auf dem Plan für 2024. Mit neuen, standardisierten Methoden will man die Fehlersuche erleichtern. An der Lösung des Problems wird also gearbeitet. Bis die Maßnahmen Wirkung zeigen, könnte allerdings noch etwas Zeit vergehen.
Update vom 4. September 2024: Die Thread Group hat Thread-Version 1.4 veröffentlicht, die ermöglichen soll, dass Border Router und Geräte automatisch einem gemeinsamen Mesh-Netzwerk beitreten (link).
3. Einrichtungsprozess
Der QR-Code auf Matter-Geräten vereinfacht zweifellos die Inbetriebnahme. Er ist aber nur ein Element im Einrichtungsprozess der Produkte. Viele Hersteller betten den Code-Scan in ihre eigenen Bedienabläufe ein, die sich teils deutlich voneinander unterscheiden – je nachdem, ob das Unternehmen selbst eine App mit erweiterten Funktionen anbietet, ob die Software als Matter-Controller dient oder nicht. So passiert es etwa, dass in einem digitalzimmer-Test von acht Funksteckdosen kein Set-up dem anderen gleicht (link).
Hinzu kommen Unterschiede zwischen den Matter-Ökosystemen, die mit selbst entwickelten Einrichtungshilfen wie Fast Pair (Google) oder Frustration Free Setup (Amazon) Akzente setzen. Mal erkennt die App der Steuerungsplattform neue Produkte automatisch, sobald sie eingeschaltet werden – mal muss zuerst der QR-Code gescannt werden, damit etwas passiert. Nutzerinnen und Nutzer, die immer im selben Ökosystem bleiben, nehmen diese Unterschiede kaum wahr. Ein Wechsel der Matter-Plattform – oder des Smartphone-Betriebssystems – kann aber so irritierend sein wie der Umstieg von einem Auto mit Automatikgetriebe auf Handschaltung.
Gleiches gilt für die vielleicht interessanteste und mit Spannung erwartete Neuerung im Matter-Standard: den Multi-Admin-Betrieb. Wer seine Geräte über mehrere Plattformen parallel bedienen möchte, sollte lernfähig sein. Denn die Einrichtung ist keineswegs einheitlich geregelt. Nicht nur, dass sie unterschiedlich heißt: In den Apps ist von „Kopplungsmodus“, von „verknüpften Matter-Apps“ oder „Freigaben für andere Dienste“ die Rede. Auch die Anmeldung beim Zweit- oder Drittsystem sieht überall anders aus und läuft individuell ab: per Code-Scan, durch manuelle Zifferneingabe am Bildschirm, mit automatischer Erkennung des fremden Fabrics oder ohne.
Mehr Harmonisierung bitte
Es mag noch weitere Baustellen geben, die Anwenderinnen und Anwendern verborgen bleiben. Die drei genannten haben jedoch eines gemeinsam: Sie können am besten gemeinsam gelöst werden – durch Harmonisierung von Prozessen und Absprachen der beteiligten Unternehmen. Aktuell findet die Standardisierung hauptsächlich unter der Motorhaube statt. Das freut Technik-Fans, die Lust und Zeit zum Ausprobieren haben und gerne an ihrem Smarthome herumschrauben.
Um ein Massenpublikum zu begeistern, sollte Matter sich aber als Komplettlösung präsentieren – wie eine Straßenlimousine, die leicht zu fahren ist und in einer begehrenswerten Karosserie steckt. Unterschiede in der Ausstattung sind möglich und durchaus erwünscht. Aber ein Blinker bleibt ein Blinker und sollte auch so heißen. Man stelle sich vor, die Automobilhersteller hätten sich für jede Funktion – vom Airbag bis zur Heizungsregelung – eigene Begriffe einfallen lassen. Und bestimmte Autobahnen würden sich nur mit ausgewählten Fahrzeugtypen bereisen lassen …
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