Ein Interview mit Tado (link) zum Thema Matter. Matthias Bösl, Head of Hardware Engineering, und Dominik Busching, Head of Product Management, schildern ihre Erfahrungen mit dem neuen Smarthome-Standard. Wie der Münchner Hersteller die Technik in seinen Thermostaten der „Tado X“-Serie umsetzt, und welche Rolle das Funkprotokoll Thread dabei spielt.
This interview was conducted in German. Please click here for the English translation.
Ihre neue Produktlinie Tado X ist kompatibel zum Matter-Standard. Machen die Kunden davon überhaupt Gebrauch? Oder nutzen sie einfach die Tado-App mit der Tado-Bridge, ohne das Ganze in eine Matter-Plattform zu integrieren?
Dominik Busching: Matter spielt im Smart Home der meisten unserer Kunden noch keine große Rolle. Wir sehen, dass etwa fünf Prozent der Nutzer Tado X an einem fremden Thread Border Router betreiben, also nicht mit unserer eigenen Bridge.
Wir sehen den Standard aber auch nicht als Selbstzweck. Er bringt gewisse Vorteile mit sich – und die versuchen wir zu nutzen, um unseren Kunden das bestmögliche Erlebnis zu bieten. Dabei kommen die Teile des Standards zum Einsatz, die schon ausgereift sind.
„Es kommen die Teile von Matter zum Einsatz, die schon ausgereift sind“
Ist das auch der Grund für die Einschränkung auf bestimmte Border Router? Aktuell empfehlen Sie ja nur Modelle von Apple.
Matthias Bösl: Unsere Entscheidung, die unterstützten Smarthome Controller einzuschränken, hat mit einem Feature von Thread zu tun. Es heißt NAT64 und ermöglicht Thread-Geräten eine Verbindung ins Internet. Dieses Feature haben derzeit noch nicht alle integriert. Thread-Version 1.4 macht es verpflichtend und fast alle großen Plattformen haben mittlerweile angekündigt, mit Thread 1.4 kompatibel zu werden. Dann werden wir auch unsere Empfehlung erweitern.
Das war übrigens auch ein Grund, warum wir mit der Bridge X unseren eigenen Thread Border Router entwickelt haben, der ebenfalls NAT64 unterstützt. Kunden, die von uns ein Paket mit Bridge kaufen, haben keine Einschränkungen. Sie können alle Funktionen der Tado-App nutzen und müssen sich über diese Details keine Gedanken machen.
Benötigen die Thermostate denn zwingend diesen Internetzugang? Im Prinzip funktioniert Matter doch lokal ohne Verbindung nach draußen.
Matthias Bösl: Wir unterstützen den lokalen Zugriff über die Matter-Schnittstelle. Die Geräte würden damit auch ohne eine Verbindung zur Tado-Cloud weiterhin funktionieren. Wir wollen unseren Kunden aber auch über Matter hinaus einen Mehrwert bieten. Wir sind sehr gut darin, Heizungen, Heizkörper, Boiler und Wärmepumpe zusammenbringen. Dabei ist diese Connectivity hilfreich. Das System funktioniert auch ohne Internet-Verbindung, aber die Kunden haben mehr von den Produkten, wenn diese existiert.
Gesetzt den Fall, jemand würde auf die Tado-spezifischen Vorteile und Ihre App verzichten wollen. Könnte er dann auch andere Border Router nutzen?
Matthias Bösl: Ja, die Geräte lassen sich, Stand heute, ins Google- oder Apple-System kommissionieren. Man kann sie dort ein- und ausschalten oder eine Temperatur setzen und Sensordaten auslesen.
Dominik Busching: Das entspricht aber natürlich nicht der Erwartung, die Kunden haben, wenn sie ein Tado-System kaufen. Sie verstehen diese Unterscheidung zwischen Tado und Matter nicht. Deshalb empfehlen wir, neben unserer eigenen Bridge, die Border Router von Apple, die das erwähnte NAT64 bereits implementiert haben – um das Wertversprechen der Produkte einzulösen. Als wir die Geräte entwickelt und eingeführt haben, waren Heizpläne zum Beispiel noch kein Teil der Matter-Spezifikationen.
In Matter 1.4 sind sie nun vorgesehen. Und theoretisch könnten auch andere Tado-Funktionen wie der automatische Away-Modus künftig von Matter-Plattformen übernommen werden. Gefährdet das Ihr Geschäftsmodell?
Dominik Busching: Die Herausforderung nehmen wir selbstbewusst an. Zeitpläne sind schon lange nichts mehr, worüber wir uns differenzieren.
Matter kommt dort zum Einsatz, wo wir glauben, dass es gut genug ist und Ressourcen spart, um an anderer Stelle einen Mehrwert zu schaffen. Aber wenn wir das Gefühl haben, wir können etwas selbst besser, dann behalten wir uns den eigenen Weg vor. Das könnte auch Zeitpläne betreffen, wenn es um spezielle Ausprägungen dieses Features geht wie dedizierte Zeitpläne für den Urlaub oder UX-Optimierungen, etwa die Option, solche Pläne über Räume hinweg zu kopieren.
„Zeitpläne sind schon lange nichts mehr, worüber wir uns differenzieren“
Unser Geschäftsmodell wird von Matter nicht bedroht, weil wir Tado nicht mehr als Siloanwendung fürs Thema Heizen sehen, sondern uns zu einem zentralen Player im Home Energy Management entwickeln. Wir wollen die verschiedenen vertikalen Anwendungen miteinander verbinden und da kann es sogar hilfreich sein, wenn der Matter-Standard die einfacheren Dinge abdeckt.
Bevor wir gleich zum Energie-Management kommen, noch eine Frage zum Funkprotokoll Thread: Haben Sie es je bereut, darauf gesetzt zu haben?
Matthias Bösl: Um es vorwegzunehmen – nein, so weit waren wir nie. Aber natürlich gibt es Tiefpunkte, wenn man feststellt, dass es viel mehr Arbeit macht als gedacht und dass durch neue Technologien auch neue Kundenprobleme entstehen. Grundsätzlich stehen wir dem Ganzen sehr positiv gegenüber. Für unsere Generation V3+ haben wir sehr viel selbst entwickelt. Wir wissen also, welchen Aufwand es bedeutet, die Security-Mechanismen und eine Plattform von Grund auf selbst zu stemmen – oder auch nur zu gewährleisten, dass die Funkprotokolle ordnungsgemäß funktionieren.
Früher waren gut 30 Prozent unseres Entwicklungsteams allein mit der Connectivity und der Plattform beschäftigt. Das Open-Source-Konzept von Matter und Thread plus Standardisierung sorgt dafür, dass wir uns besser auf Dinge konzentrieren können, die unseren Kunden einen echten Mehrwert bieten. Ein klarer Vorteil, auch wenn es momentan noch das ein oder andere Hindernis gibt. Wir sehen, dass die CSA da Zug reinbringt, und dass an den richtigen Dingen gearbeitet wird.
„Wir sehen, dass die CSA da Zug reinbringt“
Dominik Busching: Es war auch zu erwarten, dass so ein Standard etwas Zeit braucht, um zu reifen und sich zu etablieren. Wir haben immer damit gerechnet, dass unsere Kunden erst mal weiter Starter-Kits von Tado kaufen und nicht gleich ihren HomePod oder Amazon Echo in Stellung bringen können oder auch wollen.
Zu diesen Starter-Kits gehört auch die Bridge X als Border Router. Wie offen ist sie im Hinblick auf Matter-Plattformen? Kann ich Daten aus dem Tado-System in Apple Home, Google Home und anderen Matter-kompatiblen Lösungen verwenden? Etwa als Auslöser für Automationen?
Matthias Bösl: Ja, wir geben Luftfeuchtigkeits- und Temperaturwerte unserer Thermostate über Matter weiter. Die Daten werden von den verschiedenen Plattformen allerdings unterschiedlich dargestellt. Die Bridge X ist ein vollkommen transparenter Thread Border Router, der sich auch mit Geräten anderer Marken und in den verschiedenen Ökosystemen nutzen lässt. Nicht nur mit unseren eigenen Reglern und Sensoren. Es gibt allerdings eine kleine Einschränkung: Sie müssen die Tado-App zum Einrichten verwenden, weil die Matter-Spezifikation 1.4, die Thread Border Router als Profil beinhaltet, zum Zeitpunkt der Entwicklung noch nicht existierte.
Wie sieht es mit der Kompatibilität bei Heizsystemen aus? Für das System V3+ haben Sie Schnittstellen zu sehr vielen Wärmeerzeugern programmiert. Einige davon werden von Tado X nicht mehr unterstützt. Warum?
Dominik Busching: Unterm Strich ist Tado X mit mehr Heizsystemen kompatibel, weil jetzt auch Wärmepumpen unterstützt werden. Und wir investieren sehr viel Entwicklungskapazität, um weitere Hersteller abzudecken. Auf die Gesamtheit der Lösungen bezogen ist Tado also kompatibler geworden.
Wenn man sich allerdings in die Nische der Gasthermen begibt – aktuell noch eine große Nische – dann haben Sie recht. Dort unterstützen wir zukünftig noch den weit verbreiteten Marktstandard OpenTherm, haben aber auf den Support anderer digitaler Schnittstellen verzichtet. Es gibt sehr viele herstellerspezifische Schnittstellen, sie machen aber nur etwa fünf bis zehn Prozent unserer installierten Basis aus. Gleichzeitig sind sie für etwa 50 bis 60 Prozent der Komplexität verantwortlich.
„Wir unterstützen OpenTherm und haben auf andere digitale Schnittstellen verzichtet“
Da unsere Entwicklungskapazitäten endlich sind, haben wir priorisiert und uns darauf konzentriert, das Produkt für 90 bis 95 Prozent unserer Kundenbasis besser zu machen – also für diejenigen, deren Therme per Relais oder OpenTherm-Schnittstelle gesteuert wird. Eine Verbindung mit Tado X ist auch für andere möglich, etwa über die Relais-Schnittstelle oder ein Transition-Modul, das die individuelle Sprache in OpenTherm übersetzt. Und theoretisch könnten sie so eine Heizung auch ganz ohne Modulation des Wärmeerzeugers nur über Thermostate regeln …
… was deutlich weniger smart wäre und auch nicht so effizient, wie man es von Tado kennt.
Dominik Busching: Das stimmt. Aber die Geräte der Generation V3+ werden ja weiterhin von uns unterstützt, sodass niemand mit einer älteren Gastherme auf Tado X umsteigen muss.
In Matter 1.4 gibt es Wärmepumpen als Produktgruppe. Nur setzt bislang niemand diese Spezifikationen ein. Und Tado muss wieder individuelle Anpassungen für Partner wie Panasonic vornehmen. Wiederholt sich die Geschichte?
Dominik Busching: Die Entwicklung ist momentan schwer absehbar. Wir stellen fest, dass erste Hersteller sich mit dem Thema auseinandersetzen, aber der Markt ist gespalten. Manche sehen Matter als Chance, andere darin eher ein wettbewerbliches Risiko. Wir können aber nicht ewig abwarten. Darum haben wir unseren Wärmepumpen-Optimierer entwickelt, der solche Geräte in das Tado-Ökosystem integriert. Und wir bauen seine Kompatibilität weiter aus.
„Manche sehen Matter als Chance, andere darin eher ein wettbewerbliches Risiko“
Matthias Bösl: Es geht schließlich darum, dem Kunden einen Mehrwert zu bieten. Ob durch eigene Entwicklung oder Matter ist zweitrangig. Wir wollen flexible Energietarife zu den Wärmepumpen bringen und das System insgesamt schlauer machen. Ob die Matter-Spezifikationen diesen Mehrwert bieten können, muss sich zeigen. Deshalb konzentrieren wir uns zunächst darauf, das bestmögliche Produkt zufür die zugrundeliegende Herausforderung zu bauen.
Wir sind gut darin zu verstehen, wie Kunden ihre Energie nutzen. Ganz besonders im Heizungsbereich, weil wir das schon so lange machen. Heizungssysteme sind komplex und oft sehr individuell kombiniert. Diese Komplexität zu beherrschen, ist unsere Expertise. Wenn man die tiefe Expertise letztendlich sinnvoll mit der Kundenfreundlichkeit von Matter kombinieren kann, sind wir demgegenüber natürlich aufgeschlossen.
Könnte Matter dabei nicht helfen? Mit den ganzen Produktkategorien – vom SmartPlug über den Kühlschrank bis zur Waschmaschine? Sie alle sollen sich künftig über das Energie-Management von Matter steuern lassen.
Matthias Bösl: Im Vergleich zu Domestic Heating oder einem Elektroauto sind das alles kleine Verbraucher. Wir sehen bei größeren Verbrauchern wie Wärmepumpen wesentlich mehr Einsparpotential, zum Beispiel kann eine Fußbodenheizung als Wärmespeicher dienen und damit die Vorteile flexibler Energietarife nutzen. Der Kühlschrank hingegen ist nicht flexibel, weil er immer laufen muss. Somit gibt es dort ein geringeres Einsparpotenzial.
Dominik Busching: Fernseher, Kühlschrank oder Waschmaschine bringen in einem Haushalt, der all die anderen Assets hat, vielleicht noch 15 Prozent. Das gehört dann in Bezug auf Einsparungen in die Kategorie „ferner liefen“.
Sehen Sie eine Gefahr, dass die großen Matter-Plattformen von Apple bis SmartThings dieses Energie-Management im Smarthome quasi an sich reißen und mithilfe von KI radikal vereinfachen?
Dominik Busching: Ich denke, das ist eine Hase-und-Igel-Situation. Die Großen arbeiten sicherlich daran und werden einiges bewegen in den nächsten Jahren. Aber weil wir ein europäischer Champion im Heizungssegment sind und unser Geschäft wirklich sehr gut verstehen, glauben wir, noch lange Zeit einen größeren Mehrwert bieten zu können. Und mit Mehrwert meine ich ganz konkrete Kosteneinsparungen für die Kunden.
Der europäische Markt ist sehr fragmentiert und komplex. Das stellt eine Herausforderung für Google, Apple und Co dar, die sie nicht von heute auf morgen lösen können. Und KI hilft ihnen dabei auch nur bedingt weiter.
„Der europäische Markt stellt eine Herausforderung für Google, Apple und Co dar“
Ich will jetzt nicht wie der Autohersteller klingen, der sagt, E-Mobilität setzt sich nie durch und dann, zack, fliegt einem das um die Ohren. Aber ich denke, die Konzerne schauen, wo sie mit ihrer Lösung einen Mehrwert für 80 oder 90 Prozent der Nutzer stiften können und konzentrieren sich darauf. Europa mit seinen vielen Ländern und Besonderheiten ist sehr komplex und deshalb für die Großen nicht besonders attraktiv.
Herr Bösl und Herr Busching, vielen Dank für dieses Gespräch.
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