Vielleicht die wichtigste Neuerung im Matter-Standard, die mit Version 1.3 Einzug hielt: das Energie-Management von Geräten. Alle Produkte, die damit arbeiten, können helfen, den Energiefluss im Haushalt zu optimieren. Das geschieht über den Austausch von Informationen: Elektrische Verbraucher liefern Daten über ihre aktuelle oder geplante Energieaufnahme. Stromerzeuger wie ein Balkonkraftwerk oder die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach teilen mit, wie viel Kilowatt pro Stunde sie produzieren.
Hinzu kommen nach Bedarf noch externe Informationen wie die Wettervorhersage, statistische Verbrauchsprognosen oder der dynamische Stromtarif eines Energieversorgers, dessen Preise im Tagesverlauf schwanken können. Alles mit dem Ziel, den Einsatz von Energie effizienter zu gestalten – was Kosten spart und die Umwelt schont.
Inhaltsverzeichnis
Co-Autor
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Wido Wirsam. Der Software-Architekt, Berater und Entwickler hat mehr als 20 Jahre Berufserfahrung mit KI, Energiemanagement, IoT und Cloud-basierten Diensten. Er bietet mit seinem Unternehmen intuisoft (link) auch Beratungsleistungen zum Thema Matter an.
Das Ziel: optimierter Stromverbrauch
Ein Energie-Management-System, kurz EMS, bringt Strom-Angebot und -Nachfrage im Gebäude zusammen. Es hat die Aufgabe, den Betrieb elektrischer Geräte zeitlich so zu verschieben oder im Energieverbrauch anzupassen, dass möglichst geringe Stromkosten entstehen. Für Selbsterzeuger heißt das: den kostenlosen Solarstrom selbst zu verbrauchen. Einspeisung ins Netz lohnt sich meist nicht, weil Kilowattstunden, die für ein paar Cent an den Stromversorger gehen, bei Bedarf teuer zurückgekauft werden müssen. Positiver Nebeneffekt: Die CO₂-Emissionen sinken und Energienetze werden entlastet, weil nicht mehr alle Haushalte ihren Bedarf zu Stoßzeiten am Morgen oder Abend decken.
Mit EMS lädt die heimische Wallbox das E-Auto dann, wenn viel Solarstrom zur Verfügung steht. Oder der Warmwasserspeicher heizt auf Vorrat, um ein paar Grad Reserve für die Nacht anzulegen. Ein smarter Gefrierschrank geht den umgekehrten Weg und schraubt die Temperatur herunter, wenn die Energie besonders günstig ist, um danach eine Kühlpause einlegen zu können. Waschprogramme so starten, dass die energieintensive Phase des Aufheizens in eine Zeit mit niedrigen Stromkosten fällt? Klimaanlagen intelligent steuern? Anhand der Anzeige am Smartphone erkennen, wo heimliche Verbraucher lauern? Es gibt viele Möglichkeiten, wie ein EMS im Alltag Stromkosten sparen kann.
Der herstellerübergreifende Matter-Ansatz
So weit, so gut – und bekannt. Denn Energie-Management-Systeme gibt es nicht erst seit gestern. Viele Unternehmen haben ihre eigenen, proprietären Lösungen für diesen Zweck entwickelt. Auch herstellerübergreifende Ansätze wie die Kommunikationsschnittstelle EEBus (link) oder das SunSpec-Protokoll (link) gibt es längst.
Der Charme von Matter liegt im breiten Anwendungsgebiet über Branchen und Produktgruppen hinweg. Die Spezifikationen decken vom einfachen Funk-Zwischenstecker über Haushaltsgeräte bis zu Wallbox schon jetzt viele Einsatzbereiche ab. Zusätzliche, für ein Energie-Management wichtige Geräteklassen wie Wärmepumpen befinden sich in Arbeit. Hinzu kommt der internationale Ansatz: Hunderte Unternehmen aus allen Teilen der Welt haben sich innerhalb der standardisierenden Organisation CSA zusammengefunden. Das bietet Matter eine gute Startposition im Wettlauf der Systeme.
Energieverbrauch messen und anzeigen
Dem Management voraus geht eine solide Datenbasis. Für die meisten Menschen ist der eigene Energieverbrauch eine „Black Box“ ohne Transparenz, die nur einmal im Jahr geöffnet wird: dann, wenn die Stromrechnung vom Energieversorger kommt. Mit Matter könnte diese bislang fehlende Transparenz nun in jeden Haushalt einziehen.
Die Spezifikationen von Matter 1.3 enthalten einen „Electrical Energy Measurement Cluster“ (2.12) und einen „Electrical Power Measurement Cluster“ (2.13.). Als Cluster werden Datensammlungen bezeichnet, die Attribute, Ereignisse und Befehle einer bestimmten Funktion bereitstellen. Beide Cluster liefern Informationen zum Verbrauch. Das Power Measurement enthält dabei Daten zur momentanen Leistungsaufnahme. Nach dem Motto: Dieses Gerät verbraucht aktuell 1500 Watt. Das Electrical Energy Measurement liefert kumulierte Werte über eine gewisse Zeitspanne. Es kann etwa darüber informieren, wie viele Kilowattstunden (kWh) ein Gerät am Tag verbraucht, im Monat benötigt oder seit Jahresbeginn in Anspruch genommen hat.
So ist es Messsteckdosen möglich, den Energieverbrauch angeschlossener Geräte im Matter-Datenformat zu übertragen. Mögliche Anwendung: Die App eines Smarthome-Systems zeigt die Leistungsaufnahme am Bildschirm an. Darüber hinaus sind programmierte Aktionen möglich. Eine Matter-Plattform könnte beispielsweise automatisch alle Heimkino-Geräte vom Netz trennen, sobald der Fernseher in den Standby-Betrieb geht – weil dessen Energiewert dann unter einen definierten Schwellenwert sinkt.
Dieses Szenarien sind heute schon möglich – jedoch mit proprietären Programmierschnittstellen (APIs). Um kompatible Geräte zu bauen, müssen die Hersteller ihre Software anpassen, Treiber schreiben oder eng mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten. Die Standardisierung von Matter vereinfacht den Prozess, weil der Austausch von Energiedaten in den Spezifikationen bereits vorgesehen ist.
Der Einsatz bleibt aber nicht auf Steckdosen und Stromauslässe begrenzt. Da es sich um Software-Cluster handelt, können die Funktionen in jedes Matter-Gerät mit geeigneter Hardware integriert sein. Hausgeräte wären damit in der Lage, jederzeit aktuelle Verbrauchswerte zu liefern. Ein Balkonkraftwerk würde über seinen Power-Output informieren – sofern es diese Produktgruppe irgendwann in Matter gibt.
Laut Spezifikation ist nicht einmal spezielle Hardware zum Messen notwendig. Wo sie fehlt, können Geräte die Daten auch schätzen. Der Verbrauch einer LED-Lampe etwa ist dem Hersteller bekannt. Er weiß, wie dieser Wert zwischen 0 und 100 Prozent Helligkeit schwankt. So lässt sich gut ausrechnen, wie viel Watt das Leuchtmittel im jeweiligen Betriebszustand benötigt. Ein Datenfeld im Cluster teilt potenziellen Empfängern mit, ob es sich um tatsächliche gemessene oder geschätzte Werte handelt.
Energy Management Systeme in Matter
Ein Matter EMS hebt die Nutzung von Energiedaten auf den nächsten Level. Aus der Anzeige von Leistungsangaben und einfachen Schaltungen wird eine vorausschauende, intelligente Steuerung. Die Funktionen dazu verteilen sich über mehrere Cluster – vom „Device Energy Managment Cluster“ über Definitionen für E-Auto-Ladegeräte und Wallboxen (Electric Vehicle Supply Equipment, EVSE) bis zu Vorgaben, inwieweit der Verbrauch eines steuerbaren Gerät optimiert werden kann oder soll.
Wo dieses Management technisch stattfindet, bleibt dem Einfallsreichtum von Entwicklern überlassen. Es könnte als Software isoliert auf einer eigenen Hardware laufen, etwa als Hutschienen-Komponente im Elektroverteiler. Alternativ kann ein Computer im Heimnetzwerk die Aufgabe übernehmen oder ein anderes Gerät, das die Funktionen quasi huckepack ausführt. So wäre es bei entsprechend leistungsfähiger Hardware denkbar, einen Matter Controller samt EMS in der Heizungssteuerung unterzubringen – als zusätzliches Feature, das ein Wärmepumpenhersteller seinen Kunden anbietet.
Der Fokus liegt in jedem Fall auf einer dynamischen Steuerung des Stromverbrauchs, was nicht zuletzt die neue Produktkategorie EVSE (Electrical Vehicle Supply Equipment) in Matter 1.3 zeigt, die als erste Geräteklasse mit dem Schwerpunkt Energie in den Standard aufgenommen wurde. Doch auch der grundlegende „Device Energy Managment Cluster“ enthält bereits Werkzeuge zur Verbrauchsoptimierung, wie ein Blick in die Spezifikationen zeigt:
Name | Funktion | Beschreibung | Aufgabe |
---|---|---|---|
PA | Power adjustment | Anpassung des Energieverbrauchs | Erlaubt dem Energiemanager den aktuellen Stromverbrauch eines Geräts in vorgegebenen Grenzen zu beeinflussen. |
PFR | Power forecast reporting | Vorhersage des Energieverbrauchs | Das Gerät erstellt eine Prognose seines voraussichtlichen Energieverbrauchs für die nahe Zukunft. |
SFR | State forecast reporting | Vorhersage des Gerätezustands | Das Gerät kündigt einen geplanten Zustandswechsel an. |
STA | StartTime adjustment | Anpassung der Startzeit | Erlaubt dem Energiemanager, den Startzeitpunkt eines Geräts zu beeinflussen. |
PAU | Pausable | Pausierbar | Erlaubt dem Energiemanager, den Betrieb eines Geräts zu unterbrechen. |
FA | Forecast Adjustment | Anpassung des Energieverbrauchs | Erlaubt dem Energiemanager, den zukünftigen Energieverbrauch anzupassen. |
CON | Constraint-based adjustment | Anpassung wegen externer Signale | Das Gerät reagiert auf externe Befehle, seine Energieaufnahme zu ändern oder anzupassen. |
Steuerung des Verbrauchs mit Regeln und KI
Die Stromaufnahme von Geräten optimieren und zeitlich verschieben, das ist leichter gesagt als getan. Denn Energieverbrauch hält sich nicht an starre Regeln. Anders als ein Heizplan, der die Raumtemperatur zu festen Tageszeiten anhebt und wieder absenkt, sind Stromerzeugung und -verbrauch einer ganzen Reihe an Variablen unterworfen.
Wann scheint die Sonne oder weht der Wind? An welchen Tagen kann das E-Auto zu Hause geladen werden, weil Home-Office im Kalender steht – und wann ist der Wagen tagsüber im Büro, kommt eventuell mit vollem Akku zurück, weil es Ladestationen auf dem Firmenparkplatz gibt? Ein anderes, zunehmend häufigeres Szenario: Der dynamische Stromtarif des Energieversorgers stellt günstige Kilowattstunden für den Folgetag in Aussicht, was eine Kochwäsche angeraten erscheinen lässt. Aus privaten Gründen sollte der Waschtag aber lieber vorgezogen werden.
Solche Eventualitäten mit klassischen Smarthome-Regeln abzubilden, ist schwer und artet in Arbeit aus. Auch, weil niemand sich gerne von einem Energiemanager zu Hause bevormunden lässt. Statt den Bewohnern Tagesabläufe vorzuschreiben, sollten EMS-Systeme lieber aus ihnen lernen und sich von selbst auf neue Situationen einstellen. Das geht mit dem Einsatz von KI oder Maschinellem Lernen (Machine Learning, ML), wie diese Sparte Künstlicher Intelligenz genau heißt.
Erste Ansätze sind beim Matter-Pionier SmartThings zu beobachten, wenn auch derzeit außerhalb des Standards. Das Samsung-Unternehmen unterhält ein eigenes Energiemanagement für ausgewählte Geräte. In Zukunft sollen immer mehr Samsung-Produkte ihren Verbrauch selbst optimieren: Ein Kühlschrank etwa „lernt“, wie lange und wie oft seine Tür geöffnet wird, und zu welchen Tageszeiten. Software stimmt die Kompressorleistung darauf ab und sorgt dafür, dass der Schrank zu Stoßzeiten nicht unnötig gegen einen Temperaturanstieg ankühlt (link). Mögliche Energieersparnis laut Samsung: bis zu 15 Prozent.
Ein anderes Beispiel: Wissenschaftler der Universität Oldenburg, des Fraunhofer Instituts IFAM und vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt DLR haben errechnet, dass sich die Effizienz von Wärmepumpen mithilfe von KI um mehr als ein Drittel steigern lässt (link). Sie simulierten dazu das private Wärmenetz einer Wohnanlage mit 100-Kilowatt-Wärmepumpe und Warmwasserspeicher, um anschließend den Betrieb von Software mit einer speziellen Form des Maschinellen Lernens optimieren zu lassen. Ergebnis: Der Gesamtenergiebedarf der Wärmepumpe sank um 15 Prozent, in Kombination mit einem variablen Stromtarif betrug die Stromkostenersparnis 35 Prozent.
Beispiel: Wallbox mit KI-Management
Die Stärke von Lösungen mit Maschinellem Lernen: Sie können wiederkehrende Muster erkennen und analysieren. Sind Zusammenhänge bekannt – oder lassen sich gut schätzen – trifft das System auch komplexe Entscheidungen und findet zwischen widersprüchlichen Zielen einen Kompromiss; schneller und besser als der Mensch in einer vergleichbaren Situation es je könnte. Manuelle Eingriffe bleiben trotzdem möglich, etwa um Prioritäten zu setzen oder die Planungen der KI zu überschreiben.
Wie ein KI-gesteuertes Energiemanagement vorgeht, zeigt das folgende Beispiel aus dem Alltag. Es ist aktuell noch theoretischer Natur, weil es keine entsprechenden Matter-Produkte auf dem Markt gibt. Die Aufgabe stellt sich jedoch ganz praktisch jedem Pendler mit Elektrofahrzeug und einem dynamischen Stromtarif: Wie lade ich mein E-Auto zu Hause optimal? Zwei Ziele stehen dabei im Wettstreit:
- Am Morgen soll der Akku möglichst voll sein, damit das Fahrzeug auch größere Strecken zurücklegen kann, die über den Arbeitsweg hinausgehen.
- Die Kosten sollen möglichst gering bleiben, weil vorzugsweise dann geladen wird, wenn der dynamische Stromtarif einen niedrigen Kilowattpreis verspricht.
Es gilt also, jeden Tag einen Ausgleich zwischen beiden Anforderungen zu finden. Nicht immer ist der Tarif gleich günstig und auch der Füllstand des Akkus variiert beim Heimkommen, je nach zurückgelegter Strecke. Was tut die KI? Sie analysiert zunächst die Daten der (Matter-fähigen) Wallbox. Nehmen wir an, der typische Ladevorgang findet wochentags in der Zeit zwischen 17 oder 18 Uhr abends und 8 Uhr morgens statt. Auf jeder Fahrt zum Arbeitsplatz verliert der Akku zwischen 20 und 25 Prozent Ladung.
Aus den Informationen erstellt das System ein Nutzungsprofil und gleicht es mit den Preisprognosen des Energieversorgers ab. Der Nutzer kann nun einstellen, wie risikofreudig er ist: Schätzt er die Sicherheit eines gut gefüllten Akkus und nimmt dafür höhere Ladekosten in Kauf? Oder gestattet er dem Energiemanagement in Hochpreisphasen auch mal auszusetzen, in der Hoffnung, dass der Strom am Folgetag billiger ist? Die KI reagiert entsprechend, gewährleistet aber auf jeden Fall, dass die Akkuladung für den Weg zur Arbeit reicht – notfalls auch zu einem höheren Preis als gewünscht.
Eine wesentliche Eigenschaft der KI ist dabei ihre Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen. Der Kilowattpreis in dynamischen Stromtarifen ist nur für die kommenden ein bis zwei Tage bekannt. Es kann daher im Einzelfall passieren, dass die Algorithmen sich „verzocken“ und eine schlechte, weil teurere Entscheidung treffen. Im langfristigen Durchschnitt geht die Rechnung aber zugunsten des Nutzers aus, weil die positiven Effekte überwiegen.
Damit es soweit kommt, müssen die Spezifikationen und technischen Möglichkeiten aber erst noch ihren Weg in kaufbare Produkte finden – was bei einem umfangreichen Standard wie Matter erfahrungsgemäß seine Zeit braucht.
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