
Ein Interview mit Gimmy Chu, Mitgründer und CEO von Nanoleaf (link), über die Entscheidung des Unternehmens, vorerst keine neuen Produkte mit Matter over Thread mehr auf den Markt zu bringen. Was zu diesem Schritt geführt hat und warum Nanoleaf sich dennoch für den herstellerübergreifenden Smart-Home-Standard einsetzt.
This is a translation of an English interview. For the original version, go this way.
Es gab Schlagzeilen, dass einige Hersteller dem Thread-Protokoll im Matter-Standard den Rücken kehren. Nanoleaf zählte zu den ersten, die Thread unterstützt haben, setzt bei neuen Produkten aber nun auf WLAN. Wenden Sie sich von dem Protokoll ab?
Gimmy Chu: Ich würde nicht sagen, dass wir uns abwenden. Wi-Fi ist eine Erweiterung des Angebots. Wir haben festgestellt, dass die Leute unsere Produkte kaufen, weil sie Thread sind – aber sie wurden gerade wegen Thread auch nicht gekauft. Schauen Sie sich die Marktdurchdringung an: Glauben Sie, dass zehn Prozent der Haushalte Thread haben? Und wie viele von diesem Zehntel wissen überhaupt, dass sie über Thread verfügen?
„Wie viele Menschen wissen, dass sie Thread haben?“
Die Kunden stellen fest, dass sie einen Border Router benötigen und fragen sich: Was zum Geier ist ein Thread Border Router? Oder sie kaufen das Produkt, nehmen es mit nach Hause und realisieren, dass sie es nicht mit ihrem Smart-Home-Ökosystem verbinden können. Obwohl es sich doch um ein Matter-Produkt handelt.
Eine schwierige Situation …
Gimmy Chu: Richtig. Eine meiner Forderungen an die Matter Group war daher: Ihr müsst einen Standard für Matter Controller festlegen. Es ergibt keinen Sinn, dass nicht jeder Matter-Controller alle Matter-Produkte kontrollieren kann. Ich glaube, der Fehler wurde schon sehr früh gemacht. Als Thread auf den Markt kam, dachte man, dass die Leute nicht wissen müssen, welche Technologie zugrunde liegt. Man hat also nie über Thread gesprochen oder darüber, was die Kunden brauchen.
Hinzu kommt, dass die anfängliche Entwicklung von Thread und Matter mit Problemen kämpfte. Die Lösung war nicht gut und die Border Router waren uneinheitlich. Bis zu einem gewissen Grad sind sie das immer noch. Da wir früh in diesen Bereich eingestiegen sind, haben wir viel Kritik einstecken müssen, aber was den Leuten nicht klar war, ist, dass Thread stark von der Border Router-Lösung abhängt.
„Es hängt stark von der Border-Router-Lösung ab.“
Mit der Zeit hat sich das aber gebessert. Die Probleme mit Thread bestehen noch, werden aber weniger.
Gimmy Chu: Es wurde viel verbessert. Vor allem Apple hat eine Menge getan, um es viel, viel besser zu machen, vor allem mit iOS 17 und 18. In iOS 18 haben sie die Möglichkeit geschaffen, ein Thread-Netzwerk ohne die Hilfe eines Border Routers aufzubauen. Aber jetzt geht es darum, den Kunden beizubringen, dass sie dafür ein iPhone 15 pro oder ein iPhone 16 mit integrierter Thread-Funktion benötigen.
Der Verbreitungsgrad von WLAN-Routern ist viel höher, er liegt wahrscheinlich über 99 %. Jeder hat einen WLAN-Router zu Hause. Und wir mussten eine Technologie entwickeln, die wirklich zugänglich ist. Nur ein Beispiel: In den USA steigen wir gerade bei Walmart ein. Ich kann einem Walmart-Kunden nicht erklären, was Thread ist. Nichts gegen Walmart-Kunden, sie haben einfach nicht die Zeit, sich mit all diesen Dingen zu beschäftigen.
Man kann also nicht sagen, dass wir uns von Thread oder Matter abwenden. Wir haben vielmehr etwas Eigenes geschaffen, damit alles zu 100 % funktioniert.
Sie sprechen von Ihrer eigenen, proprietären Lightwave-Technologie, die Sie mit der Fernbedienung Sense+ eingeführt haben. Baut sie auf dem Thread-Protokoll auf?
Gimmy Chu: Sie arbeitet parallel, also gleichzeitig mit Thread. Nehmen Sie Sense+. Sie können das Produkt über Thread mit einem Matter-System wie Apple Home verbinden. Dann läuft alles über den Border Router. Aber es ist ein Lichtschalter mit sechs Tasten, Bewegungs- und Helligkeitssensor – und Sie kennen die Plattformen. Wenn man jede dieser Tasten und die Funktionen einzeln programmieren müsste, würde es niemand nutzen.
Die Bedienung muss einfach sein, weshalb wir beschlossen haben, unseren eigenen Weg zu gehen. Das Schöne daran: Es gibt diese parallelen Funktionen. Man kann die seitlichen Tasten so programmieren, dass sie Dinge über Matter tun, die Jalousien schließen, den Fernseher einschalten, was auch immer. Aber Sense+ funktioniert auch mit unseren Nanoleaf-Produkten in der nötigen Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit. Weil es ein Lichtschalter ist, muss das so sein.
„So weit müssen Thread und Matter erst noch kommen.“
Es ist kein Hub oder eine andere Art von Verbindung nötig. Die Steuerung funktioniert lokal und schnell. Bei WLAN wird erst eine Verbindung zum Router hergestellt, eine IP-Adresse bezogen und so weiter. Das kann ein paar Sekunden dauern. Bei Thread hängt das Tempo von den Border-Routern ab, manche können die Verbindung sofort wiederherstellen, bei anderen dauert es ein wenig länger. Unsere Lösung reagiert sofort. Selbst nach einem harten Ausschalten der Beleuchtung mit der Trennung vom Stromnetz ist sie sofort wieder online. Ich kann damit Szenen ansteuern. So weit müssen Thread und Matter erst noch kommen.
Wie lange wird es wohl dauern, bis Thread und Matter dieses Ziel erreichen?
Gimmy Chu: Dafür müssen die Sterne günstig stehen. Es ist nicht an mir, das abzuschätzen, aber die Herausforderung besteht darin, dass all diese großen Konzerne versuchen, gemeinsam etwas zu schaffen. Manchmal ziehen sie in unterschiedliche Richtungen und es ist schwer, eine Einigung zu erzielen. Ich arbeite sehr eng mit der Matter Group und den Leuten von der Thread Group zusammen und gebe ihnen viele dieser Rückmeldungen.
Ursprünglich, als wir Sense+ entwickelten, funktionierte alles über Thread und Border Router. Aber wir haben diese Feinheiten nicht hinbekommen – eine sofortige Kontrolle nach der Netztrennung, geringe Latenzzeit und dabei vermeiden, dass Befehle auf dem Weg verloren gehen. Wir haben uns gefragt: Lässt sich das einfach in unserer App programmieren, damit die Kunden es nicht machen müssen? Denn sechs Tasten plus Bewegungssensor plus Helligkeitssensor – stellen Sie sich vor, das alles über einen Matter Controller einrichten zu müssen.
„Manchmal ziehen sie in unterschiedliche Richtungen und es ist schwer, eine Einigung zu erzielen.“
Was bedeutet das für angekündigte Software-Updates Ihrer Thread-Produkte? Das Deckenlicht Skylight etwa sollte ja auch Matter unterstützen.
Gimmy Chu: Thread und Matter sind zwei unterschiedliche Dinge. Unsere Shapes-Produktlinie etwa dient als Thread Border Router, genau wie das Skylight. Auch dort ist ein Border Router eingebaut, und man kann es mit unserem Sense+ steuern. Aber Matter wird aktuell nicht supportet. Warum nicht? Weil Matter keine Szenen unterstützt. Ich könnte mit Matter nicht sagen: „Aktiviere Nordlicht auf meinen Lichtern“. HomeKit kann das, ebenso wie Google Home und Alexa mit Cloud-Unterstützung sowie SmartThings. Aber mit den aktuellen Matter-Anbindungen ist es noch nicht möglich.
Wir wollen unseren Kunden keine Funktionen wegnehmen. Aus Nutzersicht macht die Möglichkeit, Szenen auszulösen, einen großen Teil der Erfahrung aus. Leider versteht das nicht jeder, aber diese Szenen sind wesentlicher Aspekt, der unsere Produkte so besonders macht. Wenn Matter so weit ist, werden wir dieses Update anbieten.
Heißt das, die angekündigte Nala Bridge zur intelligenten Lichtsteuerung wird vorerst auch nicht erscheinen?
Gimmy Chu: Die Nala Bridge war eine etwas andere Idee. Als wir sie ankündigten, war uns nicht klar, dass Matter jeden dazu zwingen würde, einen Matter Controller zu verwenden. Apple, Google, einfach jeder wollte seinen eigenen Hub etablieren, und wir dachten, dass wir einen Border Router brauchen, damit alles funktioniert. Aber als wir Lightwave weiterentwickelten, entschieden wir uns, den Border Router komplett zu umgehen, ein eigenes Mesh-Netzwerk aufzubauen und im Grunde all die Dinge, die Thread versprochen hatte, auf unsere eigene, proprietäre Weise zu lösen. Auf eine sehr leichtgewichtige Weise, die sehr gut funktioniert.
Das war der springende Punkt. Ich weiß, dass die Menschen von einigen dieser neuen Standards und Technologien begeistert sind, und in der Theorie klingt das alles großartig. Aber in der Praxis braucht die Branche meiner Meinung nach etwas mehr Zeit, um einen perfekten Zustand zu erreichen. Aber sie ist auf dem Weg dorthin. Es wird langsam viel stabiler.
„Die Branche braucht noch etwas mehr Zeit.“
Unter welchen Bedingungen würden Sie wieder neue Thread-Produkte zusätzlich zu Wi-Fi anbieten?
Gimmy Chu: Ich denke, die Themen Thread und Matter sind zweierlei. Der Thread-Teil hat mehr mit der Verbreitung von Border Routern oder Steuergeräten zu tun, die Thread können. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, dass es wahrscheinlich noch vier Jahre dauert, bis die neuen iPhones und die neuen Pixels alle Thread-Geräte sind. Und dann Border Router, wer weiß, vielleicht kommen wir nie so weit. Deshalb halten wir WLAN für die zugänglichere Lösung.
Matter dagegen wird von allen unseren neuen Wi-Fi-Produkten unterstützt. Es ist nur so, dass einige unserer Vorzeigeprodukte wie Shapes, Lines, Skylight viel komplexer sind. Sie haben viel mehr Funktionen, und einige dieser Funktionen würden bei einem Wechsel zu Matter wegfallen. Wir möchten sichergehen, dass wir das auch wirklich richtig machen.
Es gäbe eine Möglichkeit, Dinge wie Szenen zu implementieren, die mit Matter 1.3 in den Standard aufgenommen wurden. Sie könnten einen eigenen Matter Controller anbieten. Wäre das ein gangbarer Weg für Nanoleaf?
Gimmy Chu: Im Moment nicht, das steht nicht auf unserem Plan. Ich denke, es gibt einen Grund, warum die Big Four die BIG4 sind. Sie bieten einen Mehrwert, der über die Funktionen des Smarthome-Controllers hinausgeht. Ihre Produkte sind gleichzeitig ein Telefon, ein Sprachassistent, ein TV-Gerät, ein Computer. Darum sollten sie auch dieser Matter Controller sein. So wie wir Geräte haben können, die einzigartige Erfahrungen innerhalb unseres eigenen Ökosystems schaffen.
„Es gibt einen Grund, warum die Big Four die BIG4 sind.“
Ich würde lieber parallel arbeiten und unseren Geräten erlauben, mit Matter zu sprechen. Meiner Meinung nach sind wir nicht in der Position, einen besseren Matter Controller anzubieten, als Apple Home einer ist. Nicht wegen des Aufwands. Wir haben schon Border Router entwickelt, wir bauen Matter-Endgeräte, wir haben eine App. Aber sollen wir alles in dieser App durch Matter schicken und dann plötzlich keine Kontrolle mehr über unser eigenes Schicksal haben?
Um eine neue Funktion zu unserer App hinzuzufügen, müsste ich zur Matter Group gehen und sagen, dass ich etwas geändert haben möchte. Und dann – sechs Jahre später – einigen wir uns alle auf eine Lösung. Das ist nicht die richtige Antwort. Zumindest nicht für uns. Wir machen Steuergeräte, die Steuergeräte unterstützen Matter. Wir lassen Matter das Tastenprofil ausarbeiten, und alle Plattformen werden es irgendwann unterstützen. Ziemlich sicher wird es genau so passieren.
In unserem Interview vor etwa zwei Jahren sagten Sie, dass Matter die Entwicklung außergewöhnlich schnell durchlaufen hat. Sehen Sie das heute auch noch so?
Gimmy Chu: Da haben Sie mich voll erwischt. Wie kann ich es ausdrücken, ohne jemandem zu nahe zu treten … es war eine große Herausforderung, je tiefer wir in die Details gingen. Ich glaube nicht, dass jemand erwartet hat, dass es so lange dauern und dass es so viele Probleme geben würde. Die gesamte Matter-Industrie arbeitet sehr hart daran, diese Probleme zu lösen, und es gibt eine Menge wirklich kluger und fähiger Leute, die daran mitarbeiten.
„Eine Menge wirklich kluger und fähiger Leute arbeiten daran.“
Die größte Herausforderung besteht darin, dass die großen Tech-Giganten nicht immer einer Meinung sind, wie etwas gemacht werden sollte. Man könnte so und so vorgehen – also gut, schließen wir einen Kompromiss und landen irgendwo im Nirgendwo. Das passiert manchmal bei technologischen Entscheidungen, und es ist immer eine schlimme Art etwas zu entwickeln. Entwurf im Komitee empfiehlt sich nicht, würde ich sagen.
Wenn man viele Leute hat, erschwert das außerdem die Entscheidungsfindung. Nach dem Motto: Zu viele Köche verderben den Brei. Aber das gilt bei jeder Art von Standardisierung. Ich denke, mit der Zeit wird das schon klappen. Es gibt ein Sprichwort: Wenn du schnell vorankommen willst, geh allein. Wenn du weit kommen willst, geh gemeinsam. So kann man es wohl am besten ausdrücken.
Herr Chu, vielen Dank für dieses Gespräch.
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