Wibutler pro vor Logos der Wibutler Alliance

„Zu viele Anwendungen für einen Standard allein“

Ein Interview mit Michael Jüdiges, CEO der Entwicklerfirma DBT Digital Building Technology, die hinter der Wibutler-Plattform für digitale Gebäudetechnik steht (link). Als Joint Venture der mittelständischen Unternehmen Bega, Eltako, Oventrop und Viessmann vereint sie Produkte von mehr als 40 Herstellern in einem System. Dabei spielt auch der Matter-Standard eine Rolle. In welchem Umfang erklärt Jüdiges gegenüber matter-smarthome.

The interview was conducted in German.
Please click here for the English translation.

Herr Jüdiges, es gibt den Wibutler Pro als Steuerzentrale, die Wibutler-Plattform und eine gleichnamige Hersteller-Allianz. Wer macht was? Können Sie das kurz erklären?

Michael Jüdiges: Die Wibutler-IoT-Plattform verbindet Internet-Technologien mit klassischer Gebäudetechnik und Automationen wie einem Energiemanagement zu einer gemeinsamen Lösung. Dazu gehört auch, dass wir im Einsatzbereich Smarthome über den Wibutler Pro verschiedenste Kommunikationstechnologien funktional zusammenbringen. In der Wibutler Alliance sind die Unternehmen organisiert, die sich dieser Idee angeschlossen haben und die ihre Produkte in die Plattform einbringen.

Also ist Wibutler, grob gesagt, eine herstellerübergreifende Smarthome-Plattform?

Jüdiges: Es geht nicht nur um Smarthome. Neben Lösungen für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen gibt es auch Anwendungen für Smart Buildings, also für kommerzielle Wohngebäude und Nicht-Wohngebäude. Mit Wibutler IoT unterstützen wir Hersteller dabei, ihre Geräte internetfähig zu machen. Oft stellen sie noch mechanisch arbeitende oder rein analoge Produkte her, die über keinerlei Internetfunktionalität verfügen. Wir gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 alle Geräte, die funktional in eine Gebäudeinfrastruktur eingebettet werden, auch internetfähig sein müssen, um Mehrwerte daraus zu ziehen.


„Bis zum Jahr 2030 müssen alle Geräte, die funktional in eine Gebäudeinfrastruktur eingebettet werden, auch internetfähig sein.“


Wie läuft diese Anbindung ab? Dafür muss es ja Schnittstellen geben.

Jüdiges: Genau, die Hersteller stellen Schnittstellen oder APIs für Drittsysteme bereit. Das ist schon mal ein Riesenschritt – diese grundsätzliche Bereitschaft, sich einbinden zu lassen. Denn historisch gesehen, hat die Industrie eher versucht, Closed Jobs zu machen, also in sich geschlossene Systeme zu etablieren. Was mit einer API aber noch nicht gelöst ist, ist die Interpretation der Daten und die daraus entstehende Funktionalität. Denn wenn ich als Hersteller eine Schnittstelle zur Verfügung stelle, heißt das zunächst nur: Jemand anderes soll sich um die Steuerung kümmern.

Dieser Jemand ist die Wibutler-Plattform?

Jüdiges: Wir haben uns gesagt: Wenn wir für die Branche eine generelle Interoperabilität und ein reibungsloses Zusammenwirken der Geräte erreichen wollen, dann muss es eine neutrale Stelle geben, die das alles orchestriert und zusammenführt. Diese Aufgabe haben wir zum Kern unserer Aktivitäten und der gesamten Technologieentwicklung bei Wibutler gemacht. Wir streben einen engen Zusammenschluss der Partner an. Er ist die Voraussetzung für tiefgreifende Anwendungen und wirklich sinnvolle Use Cases. Wibutler operiert dabei als neutrale Schnittstelle zwischen einem Hersteller und der Vielzahl von Geräten, die die übrigen Hersteller beisteuern.

Sie haben angekündigt, dass die Wibutler-Plattform den Matter-Standard unterstützen wird. Ändert sich dadurch etwas an Ihrer Arbeit?

Jüdiges: Nicht, wenn es um die Anbindung von Geräten auf der Plattform geht. Hier ist Matter als Schnittstelle noch zu wenig relevant, weil es kaum Produkte aus der klassischen Gebäudetechnik gibt, die selbst Matter sprechen. Wir nutzen den Standard für die Interaktion, etwa mit Sprachassistenten. Hier macht er vieles einfacher als die bisherigen Integrationen in Alexa, Siri & Co. Inwieweit Matter bei uns in die Kommunikation zwischen Produkten wie Licht- und Heizungsaktoren oder Lüftungsgeräte einzieht, muss sich zeigen. Dazu müsste ein großer Industriezweig erst einmal Matter in seine Produkte vorlassen. So weit ist die Branche noch nicht. Deshalb fungiert der Wibutler Pro im ersten Schritt als Matter-Bridge und bringt keine eigenen Funktionen als Matter-Controller mit. Wir sind aber technisch darauf vorbereitet. Auch das Funkprotokoll Thread ist im Wibutler Pro der zweiten Generation bereits vorgesehen und kann bei Bedarf per Software-Update aktiviert werden.


„Der Wibutler Pro fungiert im ersten Schritt als Matter-Bridge und bringt keine Controller-Funktionen mit. Wir sind aber darauf vorbereitet.“


Was müsste passieren, damit Matter eine größere Rolle spielt?

Jüdiges: Es gibt sehr viele Anwendungen, die sich heute mit Matter noch gar nicht umsetzen lassen. Denken wir an ein Energiemanagement mit Netzanschluss-Steuerung. Oder an das Energiewirtschaftsgesetz: Wie wollen wir im Zeitalter volatiler Energiemärkte unsere Häuser steuern? Solche Anforderungen sind für eine digitale Steuerung im Wohn- oder Zweckgebäude extrem relevant, es gibt in Matter aber bislang keine Entsprechung dafür. Energiemanagement steht dort zwar auf der Entwicklungs-Roadmap, aber wie wird es aussehen? Reden wir von elektrischem Energiemanagement oder auch von thermischen Lösungen? Auf der Wibutler-Plattform können wir das alles über die unterschiedlichen Kommunikationstechnologien hinweg parallel umsetzen. Das macht die Sache charmant.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Funktionsautonomie. Die ausschließliche Verwendung einer Matter-Schnittstelle macht einen Gerätehersteller abhängig von den möglichen Use Cases der verfügbaren Matter-Controller. Wozu eine Abhängigkeit führen kann, hat man in der Vergangenheit aber schon beobachten können. Wenn Anbieter ihren Dienst unerwartet einstellen, sind Funktionen plötzlich nicht mehr verfügbar.

Ein Problem der Controller von Amazon, Apple, Google & Co. ist, dass sie unterschiedliche Funktionsumfänge haben. Mit einem HomePod kann ich bestimmte Dinge aus Matter nutzen, mit einem Echo oder Nest Hub wieder andere.

Jüdiges: Das stimmt. Darum sollte die Anwendungssoftware und die Orchestrierung eigentlich hardwareunabhängig laufen. Wir sprechen nicht umsonst vom „Wibutler OS“. Unser Ziel ist es, einfach ein Betriebssystem auf das Gebäude zu laden, das alle nötigen Funktionen bietet – von der Kommunikationstechnologie übers Energiemanagement bis hin zum Matter-Controller. Ich kann mir das Wibutler OS etwa als Partition auf einer Heizkesselregelung vorstellen oder auf einem fest verbauten Tablet. Ich denke, dass immer mehr performante Hardware in die Gebäude Einzug halten wird und diese Hardware ist leistungsfähig genug, um ein Betriebssystem darauf laufen zu lassen. Auf diese zunehmende Elektronifizierung von Gebäuden stellen wir uns mit unserer Softwareentwicklung schon heute ein. Und Matter ist ein Teil dieser Entwicklung.


„Die Anwendungssoftware sollte hardwareunabhängig laufen – etwa als Partition auf einer Heizkesselsteuerung.“


Teilen Ihre Mitgliedsunternehmen diese Einschätzung?

Jüdiges: Matter ist dort auf jeden Fall ein Thema. Allerdings herrschen unterschiedliche Informations- und Wissensstände. Viele Unternehmen können den Standard noch nicht richtig einordnen. Wenn man aber sieht, dass Matter auf Veranstaltungen des ZVEI in einem Atemzug mit KNX genannt wird, dann spricht das klar für eine wachsende Wahrnehmung in der Elektrobranche. Ähnlich sieht es in der Heizungsindustrie aus. Dort sollte Interoperabilität bislang vor allem über den EEbus gelöst werden und plötzlich taucht Matter als möglicher Mitspieler auf. Es gibt noch keine einheitliche Position und Strategie, aber dass zwei so etablierte Industriesegmente über den Matter-Standard debattieren, sagt schon viel über seine Bedeutung aus.

Nur reden wir hier nicht über Jahre, sondern eher über Jahrzehnte. Gebäude haben einen sehr langen Lebenszyklus. Schauen Sie sich nur an, wie viele KNX-Installationen mit Zweidraht-Bus es in den letzten 30 Jahren gegeben hat. Die und das ganze Know-how drumherum verschwinden nicht einfach, nur weil es jetzt auch IP-basierte Kommunikation gibt, die zudem ja auch vermehrt von etablierten Technologien wie KNX unterstützt wird.

Also lässt die Matter-Revolution noch auf sich warten?

Jüdiges: Vor Jahren war ich auf einer Veranstaltung, auf der es auch um den Matter-Standard ging. Er hieß damals noch CHIP – von Connected Home over IP. Dort kam jemand auf mich zu und sagte: „Tja Michael, das war’s dann wohl für euer Geschäftsmodell“. Der neue Standard werde alles ersetzen, war seine Vermutung. Doch in all der Zeit, in der ich mich mit Gebäudeautomation beschäftige, sind zwar neue Standards hinzugekommen – doch so gut wie keiner ist weggefallen. Die Komplexität wurde größer statt geringer und damit wuchs der Bedarf an Orchestrierung.


„Die Welt der digitalen Steuerung im Gebäude ist zu umfangreich und zu komplex für einen Standard allein.“


Die Welt der digitalen Steuerung im Gebäude ist zu umfangreich und zu komplex für einen Standard allein. Es gibt zu viele Anwendungsfälle, zu viele Sicherheitsthemen. Eine Konsolidierung ist durchaus möglich, aber um unser Geschäftsmodell mache ich mir keine Sorgen. Wir verstehen uns nicht nur als Technologieplattform, sondern auch als Netzwerk-Plattform. In der Wibutler-Allianz bringen wir Akteure der Gebäudetechnik zusammen, klären auf und vermitteln Wissen. Uns ist wichtig, dass wir Partner in die Lage versetzen, die richtigen produktstrategischen Entscheidungen zu treffen, ohne dass wir eine bestimmte Kommunikationstechnologie bevorzugen oder vernachlässigen. Wibutler als Plattform ist neutral, gewissermaßen die Schweiz der Gebäudeautomatisierung.

Herr Jüdiges, vielen Dank für dieses Gespräch.

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