
Ein Interview mit Alexander Döpper von SmartSpace Consulting (link). Er berät in den Bereichen Smarthome, Smart Building und Gebäudeautomation – mit Fokus auf Strategie Markt & Kunde, Technologie- und Systemarchitektur. Der Matter-Standard nimmt dabei eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Im Gespräch mit matter-smarthome erklärt der Gebäudetechnik-Experte, warum.
The interview was conducted in German.
Please click here for the English translation.
Herr Döpper, seit fast 20 Jahren sind Sie in der Branche der Elektroinstallations- und Gebäudetechnik tätig, seit diesem Jahr mit einer eigenen Beratungsfirma. Warum ist der Matter-Standard für Sie und Ihre Kunden von Bedeutung?
Alexander Döpper: Meine ersten Gehversuche in der Gebäudetechnik habe ich 2012 mit KNX unternommen, damals noch bei Busch-Jaeger. Und KNX beschäftigt mich bis heute, neben anderen zahlreichen Standards. Mein Beratungsangebot ruht auf drei Säulen: einem strategischen Teil – also Markt und Kunde –, auf meiner technischen Expertise zu Protokollen und Technologien und auf einem Netzwerk, das über die vielen Jahre gewachsen ist. Matter hat sowohl auf die Strategie als auch auf die Technologie eine stark transformierende Wirkung. Darum beschäftige ich mich zwangsläufig damit.
Können Sie das genauer erklären?
Döpper: Matter ist der erste technologische Standard im Smarthome, der konsequent IP-basiert ist und auf IPv6 setzt. Ganz anders als etwa Zigbee, wo die physikalische Ebene, der Physical Layer, eng mit dem Application Layer verknüpft ist. In der Vergangenheit führte diese Kopplung dazu, dass praktisch jeder Zigbee-Hersteller seine eigene Zentrale oder sein eigenes Gateway auf den Markt brachte – weshalb der Standard nie so richtig abheben konnte.
Matter bricht diese Verknüpfung auf, was nicht nur Folgen für die Entwicklungsabteilungen der Unternehmen hat. Die Auswirkungen des Standards sind auch am Markt und in den Beziehungen zum Kunden spürbar. Durch mittlerweile fast 7500 gelistete Matter-Produkte und die Interoperabilität entsteht eine neue Customer Journey – weil Endkonsumenten nicht mehr zwingend eine Elektrofachkraft benötigen.
„Konsumenten benötigen nicht mehr zwingend eine Elektrofachkraft.“
Viele Installateure sehen das nicht als Problem, weil sie Matter ohnehin als Endkonsumenten-Standard betrachten…
Döpper: Matter hat ein hohes Transformationspotenzial über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg – vom Hersteller über den Inverkehrbringer bis zum Endkunden. Etablierte Player geraten mit ihren bestehenden Portfolios, die andere Technologien nutzen, massiv unter Druck. Gleichzeitig verändert sich das Konsumenten- und Kaufverhalten, inklusive der Vertriebskanäle.
Viele bisherige Lösungen am Markt sind kabelgebunden oder nutzen proprietäre Funksysteme. Matter eröffnet ein großes Portfolio an kabellosen Produkten und Systemen, die der Endkunde selbst installieren kann. Nach nur drei Jahren deckt der Standard breite Anwendungsfelder ab, von Licht und Verschattung über Lüftung und Heizung bis zu Hausgeräten. Ich bin gespannt, wie die Entwicklung weitergeht, wenn erneuerbare Energien dazukommen – mit Wärmepumpe, Wallbox und so weiter, die dann alle auch IP-basiert sind. Auf dieses Szenario muss das Handwerk sich einstellen, wenn es langfristig relevant bleiben will.
Gerade das Handwerk arbeitet ja seit mehr als 30 Jahren mit KNX. Wie sieht hier die Rollenverteilung aus, wenn Matter an Bedeutung gewinnt?
Döpper: Da treffen zwei Welten aufeinander. Auf der Matter-Seite stehen seit Beginn die globalen Plattform-Player, die das Thema promoten und technisch lauffähig gemacht haben. KNX ist ebenfalls global aufgestellt, stammt aber aus dem B2B‑ und Industrie-Umfeld. Aus diesem professionellen Kontext hat es nie herausgefunden in den breiten Endkundenmarkt.
KNX bringt – ohne das bewerten zu wollen – für das Handwerk und die Endkunden gewisse Hürden mit sich. Eine KNX-Installation ist relativ einfach, was Topologie und Verkabelung angeht. Aber die Programmierung erfordert Kenntnisse, die man am besten regelmäßig übt. Wie beim Autofahren: Wenn ich nur dreimal im Jahr hinter dem Steuer sitze, habe ich ein anderes Souveränitätsniveau, als wenn ich täglich unterwegs bin. Wer KNX-Projekte nur gelegentlich macht, bekommt nicht dieselbe Routine wie jemand, der ständig damit arbeitet. Für viele Installateure ist das ein Hemmnis – zusätzlich zur Frage, ob es in ihrer Region überhaupt genügend Anfragen für KNX im Wohn- und Zweckbau gibt. Ohne entsprechende Nachfrage bleibt die Hürde hoch, sich souverän mit KNX am Markt zu bewegen.
„KNX-Programmierung erfordert Kenntnisse, die man am besten regelmäßig übt.“
Für Endkunden kommt hinzu, dass sie für KNX-Anpassungen in der Regel eine Elektrofachkraft benötigen. Die rechnet ihre Arbeitszeit ab, gegebenenfalls sogar noch eine Anfahrt. So entstehen Kosten, die Konsumenten nur ungern tragen möchten. Sie stellen auch fest, dass ihnen die Hoheit über ihr eigenes Smarthome fehlt. „My Home is my castle“ gilt dann eventuell gar nicht. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu Matter. Weil es für die grundlegende Inbetriebnahme keine spezielle Engineering-Software wie die ETS verlangt und vieles deutlich intuitiver funktioniert.
Viele Profis würden sagen, das ist gerade der Nachteil von Matter gegenüber KNX: Es gibt keine einheitliche Software für die Inbetriebnahme…
Döpper: Das stimmt, es kann ein Nachteil sein, je nachdem, aus welcher Perspektive man schaut und mit wem man spricht. Aber gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels muss die ganze Branche sich mit der Rolle des Installateurs auseinandersetzen. Wie sehen seine Aufgaben künftig aus?
Ich glaube, der pfiffige Elektroinstallateur oder Fachbetrieb sieht Matter als Chance und begreift sich als Systemintegrator. Er kann sagen: „Ich bringe professionelle Installationswelten mit B2C-getriebenen Produkten und Lösungen zusammen. Ich bin das verbindende Glied für dich.“ Darin liegt der Mehrwert, den ein Fachbetrieb bieten kann – indem er nicht nur einen neuen Dimmer installiert, sondern ganzheitlich denkt, den Kunden umfänglich beraten kann und entsprechend vollständige Lösungen anbietet.
Das klingt schön, aber kann der Matter-Standard etwas erreichen, was KNX in 35 Jahren seines Bestehens nicht geschafft hat?
Döpper: Matter hat bereits etwas erreicht, wozu kaum ein anderes System in der Lage war: systemunabhängige Aufmerksamkeit beim Endkunden. Schon heute fragen mich Menschen von außerhalb meines beruflichen Umfelds nach dem Standard und das Interesse nimmt zu. KNX hatte einen Bottleneck beim Inverkehrbringer – dem KNX-fähigen Elektrofachbetrieb, den man für die Installation benötigt. Bei Matter ist er nicht mehr zwingend notwendig. Am Ende des Tages wird es oft so sein, dass ein Endkunde sich durch frühere Käufe schon für eine Plattform entschieden hat. Über Apple Home, Samsung SmartThings oder andere Smarthome-Ökosysteme, kommt er zwangsläufig mit dem Thema in Kontakt. Das ist ein krasser Faktor für Relevanz, Customer Journey und damit verbundene alternative Vertriebswege.
„KNX hatte einen Bottleneck beim Inverkehrbringer – dem KNX-fähigen Elektrofachbetrieb.“
Der Kunde gewöhnt sich aber auch an eine andere Kostenstruktur, weil er keine Bus-Installation bezahlen muss und sein Smarthome schrittweise per Funk aufbauen kann…
Döpper: Es stimmt, KNX ist zu etwa 95 Prozent eine kabelgebundene Lösung. Es gibt Funkvarianten, aber im Kern geht es um verlegte Leitungen. Bei Matter ist es genau umgekehrt: Der Standard sieht Ethernet zwar vor, aber in 90 bis 95 Prozent der Fälle reden wir über drahtlose Produkte, was auf die Einfachheit einzahlt. Es gibt aber vor allem verschiedene Customer-Journeys und Vertriebskanäle. Der Weg von Smarthome-Nutzern, die Schritt für Schritt erweitern, sieht anders aus als der von Bauherren, die ein fix und fertig installiertes Smarthome als Projekt beauftragen.
Am Ende hängt der Gesamtpreis gar nicht so sehr von der Technologie ab. Dass ein DIY-Smarthome, in das ich hineinwachse, letztlich günstiger kommt, ist ein Mythos, den ich gerne auflösen möchte. Nur ein Beispiel: Wenn ich viele Funklampen in meinem Haus einsetze, von denen jede einzelne 50 Euro kostet, ist das nicht günstiger, als hochwertige Dimmer zu verbauen, die konventionelle Lampen steuern, oder RGBW-fähige LED-Lösungen, die nativ in meine Elektroinstallation integriert sind. Es geht also eher um die Investitionsbereitschaft am Anfang und die Frage, ob ich die Mittel und das Vertrauen habe, alles in einem großen Projekt auf einmal smart zu machen.
Sie haben bereits die Vertriebskanäle erwähnt. Was verändert sich da im Markt?
Döpper: Ich sehe eine deutliche Differenzierung. Es gibt klassische Elektroinstallateure, E-Tailer, die Elektroinstallation inklusive erneuerbarer Energien abdecken, Systemintegratoren und mittlerweile auch sogenannte Smarthome-Provider, die ganz anders auftreten. Sie verkaufen Smarthome als Anwendung. Die verwendete Technologie spielt dabei keine große Rolle. Es geht zunehmend um Wertschöpfung und Dienstleistung, um Value-Added- und After-Sales-Services, also Angebote jenseits der reinen Installation.
Daraus entsteht eine Herausforderung für den traditionellen Elektrogroßhandel. Seit Längerem sieht er weitere Kanäle neben sich entstehen, über die viele dieser neuen Akteure ihre Ware beziehen. Das kann direkt beim Hersteller sein, über spezialisierte Online-Händler – aber eben nicht mehr zwangsläufig über den Großhandel.
Außerdem geraten die Hersteller unter Druck. Nicht erst durch Matter wird deutlich, dass die reine Hardware – selbst wenn es sich um IoT-Embedded-Devices handelt – immer mehr zur Commodity wird, also mehr oder weniger austauschbar. Ein wachsender Teil der Wertschöpfung wandert zum Kunden und zur Entwicklung der Software, die auf den Geräten aufgespielt wird. Das erzeugt erheblichen Druck in den Entwicklungsabteilungen.
„Nicht erst Matter macht deutlich, dass die reine Hardware immer austauschbarer wird.“
Software wird immer wichtiger. Das merken gerade viele Automobilhersteller. Droht der europäischen Elektrobranche ein ähnliches Dilemma?
Döpper: Man kann es so sagen: Software verspeist die Hardware zum Frühstück. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Nachfrage nach Softwareentwicklern und Softwareingenieurinnen deutlich größer ist als das verfügbare Angebot. Der „Fight for Talents“ findet nicht nur im Handwerk, sondern primär auch auf diesem Gebiet statt. Dabei passt die Analogie zum Automobilmarkt, denn in beiden Branchen verschiebt sich der differenzierende Faktor von der Hardware zur Software. Einfach ausgedrückt: Früher ging es in der Autoindustrie um Spaltmaße und in der Gebäudetechnik um Design. Heute bekommen alle guten Hersteller schöne Optik und präzise Maße hin.
Was müssen Hersteller also bieten, wenn die bisherigen Erfolgsfaktoren zur Differenzierung nicht mehr ausreichen? Es geht um einfache Anwendung, User Interfaces, Interoperabilität und Plug-and-play-Fähigkeit zwischen den Geräten – und zwar ohne großen Programmieraufwand oder manuelle Suche im Netzwerk. Matter ist in diesem Prozess ein Beschleuniger und Katalysator.
Was heißt das für Unternehmen, die heute schon Gebäudetechnik oder Smarthome-Produkte herstellen?
Döpper: Gerade für europäische Hersteller, insbesondere die großen, etablierten Unternehmen in Deutschland mit einer langen Industrie- und Firmentradition, ist es wichtig, ein Verständnis für die laufende Transformation zu entwickeln. Erst dann können sie sich einem ehrlichen strategischen Prozess stellen und eine klare Positionierung am Markt erarbeiten.
In Mandaten merke ich, wie schwer das vielen fällt. Oft handelt es sich um große Organisationen mit viel Tradition, etablierten Vertriebskanälen und eingespielten Entwicklungsprozessen. Die Unternehmen spüren, dass sie an vielen Stellen Prozesse verändern müssen. Große Transformationen tun jedoch weh, sie sind fast immer mit Schmerz verbunden.
Dabei ist technische Strategie nur die eine Seite, auf der anderen stehen Menschen, Strukturen und Kultur, durch die eine Transformation erst umsetzbar wird. Das erfordert neue Denkweisen, eine neue Führungskultur und neue Kommunikationsmuster. Darum beraten mein Geschäftspartner und ich unsere Mandanten nicht nur, eine technische Strategie zu definieren, sondern begleiten sie auch dabei, diese Strategie in eine organisatorische und kulturelle Transformation zu übersetzen.
„Ich empfehle, KNX und Matter nicht als Konfliktzonen zu verstehen, sondern als Chance.“
Jeder Weg ist individuell, die Zielrichtung sollte aber sein: weg vom reinen Produktverkauf und hin zum Lösungsingenieur, idealerweise technologieübergreifend über verschiedene Protokolle hinweg. So lassen sich Welten verbinden. Ich empfehle, KNX und Matter nicht als Konfliktzonen zu verstehen, sondern als Chance, mehrere Segmente unter einem Dach zu vereinen – für einen Mehrwert in Form von Dienstleistungen.
Herr Döpper, vielen Dank für dieses Gespräch.
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